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Otto Dov Kulka lebt in zwei Welten: der äußeren, sowie in einer inneren. Beide hat er lange scharf voneinander getrennt. In seinem beruflichen Leben widmet sich der im verhängnisvollen Jahr 1933 Geborene der Jüdischen Geschichtswissenschaft. Seine Forschungen zu den geheimen NS-Stimmungsberichten belegten erstmals die umfassende Verantwortung der deutschen Bevölkerung für die Ausgrenzung und Ermordung von Jüdinnen und Juden. Dass der Forschungsschwerpunkt zur Shoah nicht das Resultat eigener Betroffenheit ist, ist Kulka wichtig zu betonen. „Ich kam aus den Tiefen der Geschichte dorthin und nicht aus Auschwitz.“

 

 

 

Als Neunjähriger wird er zusammen mit seiner Mutter aus einer kleinen mährischen Stadt nach Theresienstadt verschleppt. Ein Jahr später, im September 1943, werden sie in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort kommen sie in das sogenannte 'Theresienstädter Familienlager', das zur Täuschung des Auslandes für ein knappes Jahr besteht. Den Gefangenen ist es dort rudimentär möglich, ein kulturelles Leben aufrecht zu erhalten. Selbstorganisiert findet Bildung für die Kinder und Jugendlichen statt. An eben diesem Ort, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Gaskammern, findet Kulka seinen Zugang zu Musik und Literatur. „Auschwitz hat mich zum Humanisten gemacht“, fasst er es zusammen.

 

 

 

 

 

 

Bis vor wenigen Jahren spricht Otto Dov Kulka nicht über seine Kindheit in Auschwitz-Birkenau. Unermüdlich, aber einsam stellt er sich seiner persönlichen Geschichte in Tagebuchaufzeichnungen. Schreibend erkundet er sein Gedächtnis, hält Träume und Tagträume fest, grübelt, beschreibt, versucht zu verstehen und zu deuten. Über die Jahrzehnte entsteht ein dichtes Netz aus Erinnerungen, Assoziationen, Metaphern und Träumen. Seine innere Welt. Bis heute zieht er sich ins Schreiben zurück, wandelt in seinen von Kindheitserinnerungen geprägten Landschaften. Sie sind für ihn, obwohl von der „Metropole des Todes“ bestimmt, ein Ort der Freiheit und der Einsamkeit, in denen er in Momenten der Not auch Trost findet.

 

 

 

Im Angesicht einer schweren Krankheit entscheidet sich Kulka 1997, seine innere Welt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 15 Jahre später erscheint mit den „Landschaften der Metropole des Todes“ schließlich sein erstes außerwissenschaftliches Werk – ein kleiner Ausschnitt seiner Tagebuchaufzeichnungen und Tonbandaufnahmen. Dem Buch gelingt das Unmögliche – eine gänzlich neue Sprache für das Leben mit Auschwitz zu finden. Inzwischen ist es in 17 Sprachen übersetzt und mit dem Geschwister-Scholl-Preis für Literatur und dem Jewish Quarterly Wingate Prize ausgezeichnet.

Otto Dov Kulka

Landschaften der Metropole des Todes

Auschwitz und die Grenzen der

Erinnerung und der Vorstellungskraft

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